Der Abendstern

(Luceafărul)
Mihai Eminescu
1883
Übertragen ins Deutsche von Irmhild Feketics.


Es lebte einst, zur Märchenzeit,
wie nie zuvor gewesen,
eine unsagbar schöne Maid,
von Herkunft auserlesen.

Und war der Eltern einzig Kind
und ach so wunderbar,
wie Sonnen unter Sternen sind
Maria in der Heil'gen Schar.

Und aus dem Schatten düstrer Mauer
richtet sie ihren Schritt dahin,
wo nah dem Fenster auf der Lauer
des Abendsternes Augen glüh'n.

Blickt in die Ferne, wie im Meer
er aufsteigt, leuchtend helle;
und schwarze Kähne führet er
auf der bewegten Welle.

Sie sah ihn gestern, sieht ihn heut':
Schon ist sie ihm verfallen.
Und die seit Wochen ihn erfreut,
sie liebt er jetzt vor allen.

Wie sie verträumt die Schläfen legt
gestützt in beide Hände,
Seele und Herz ist ganz bewegt
voll Sehnsucht ohne Ende.

Und wie lebendig scheint sein Strahl
an jedem Abend wieder
auf jenes dunklen Schlosses Saal,
wo sie nun wartet, nieder.
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Und Schritt für Schritt auf ihrer Spur
gleitet er ins Gemäuer
und webt, aus kalten Funken nur,
glühende Feuerschleier.
Und als ins Bett dann in der Nacht
das Kind sich legt zur Ruh',
berührt er ihre Arme sacht,
schließt ihr die Augen zu.

Und aus dem Spiegel heller Glanz
ist übers Kind gegossen.
Das Köpfchen zugewandt ihm ganz,
die Augen fest geschlossen.

Und freundlich lächelt sie ihn an,
sieht ihn im Spiegel beben,
im Traum verfolgt er sie sodann,
die Seele ihm zu geben.

Und träumend spricht sie zu dem Stern
und seufzet lang und schwer:
„Dich, meiner süßen Träume Herr
bitt' ich: Komm' doch hierher!

Steig' doch hernieder, sanfter Stern,
auf eines Strahles Schimmer,
dring' mir in Haus und Herz von fern,
erhell' mein Sein für immer!“

Er hörte bebend auf ihr Sinnen
und leuchtete so sehr,
und funkelnd stürzte er von hinnen,
und er versank im Meer.

Die Welle, die den Stern umschloss,
zog wirbelnd in das Meer,
und aus den dunklen Tiefen schoss,
ein Jüngling, stolz und hehr.

Leicht, wie auf einer Schwelle, tritt
durchs Fenster dann der Knab'
und führt in seinen Händen mit
den schilfbekränzten Stab.
Er schien ein junger Fürstenspross
mit weichem, gold'nem Haar.
Ein blauer Umhang ihm umschloss
das nackte Schulterpaar.

Das schattengleiche Angesicht
es ist so wächsern, bleich,
ein Toter, schön, das Augenlicht
lebendig blitzt zugleich.

- Aus meiner Sphäre folgt' ich schwer
dem Ruf in Deine Welt.
Und meine Mutter ist das Meer,
Vater das Himmelszelt.

Um dich in deinem Kämmerlein
ganz aus der Näh' zu sehen,
sank ich herab vom Himmel mein,
musst' aus dem Meer erstehen.

O komm, mein Kleinod ohne Paar,
Verlass' dein Heim auf Erden!
Ich bin der Abendstern fürwahr.
Sollst meine Braut nun werden.

Wohnst in Palästen, hoch und hehr
gebaut aus Perlenschimmer,
und alles, was da lebt im Meer
ist dir getreu für immer.

- O, du bist schön, bist engelsgleich,
wie nur im Traum gesehen.
Jedoch den Weg dort in dein Reich
werde ich niemals gehen!

So fremd in Rede und Gestalt
leuchtest du ohne Leben.
Ich bin lebendig, du bist kalt.
Dein Blick lässt mich erbeben.
Ein Tag, und zwei, und drei vergeh'n
Und wieder kommt, bei Nacht,
der Abendstern, lässt zu ihr weh'n
die milden Strahlen sacht.

Im Traume musst' sie immer mehr
sich an den Stern erinnern,
und Sehnsucht nach der Wellen Herr
erfüllte sie im Innern.

- Steig' doch hernieder, sanfter Stern,
auf eines Strahles Schimmer,
dring' mir in Haus und Herz von fern
erhell' mein Sein für immer!

Wie er dort oben hört' ihr Wort,
erlosch er schmerzensreich,
der Himmel aber kreiste dort
wo er verging, sogleich.

Und bald schon rote Glut sich zeigt,
die ganze Welt erfüllt.
Und aus des Chaos' Tälern steigt
empor ein stolzes Bild.

Auf seiner Haare schwarzer Pracht
die Krone brennend ruht.
Die Sonne ist's, auf der er sacht
schwebt in der Himmelsglut.

Aus schwarzem Umhang ragen jetzt
marmorne Arme weich.
Nachdenklich scheint er und verletzt
sein Antlitz sterbensbleich.

Die Augen aber, schön und groß
so tief, hymerisch glänzen
wie dunkler Leidenschaften Schoß,
unfassbar, ohne Grenzen.
- Aus meiner Welt kam ich mit Macht,
um folgsam dir zu sein.
Und meine Mutter ist die Nacht,
Sonne der Vater mein.

O komm, mein Kleinod ohne Paar,
verlass' dein Heim auf Erden!
Ich bin der Abendstern fürwahr,
sollst meine Braut nun werden.

O komm, ich will das gold'ne Haar
mit Sternen dir bekränzen.
In meinen Himmeln sollst du gar
stolzer als jene glänzen.

- O, du bist schön, Dämonen gleich,
wie nur im Traum gesehen.
Jedoch den Weg dort in dein Reich
werde ich niemals gehen!

Und dein Begehren, roh und zäh,
es brennt in meinem Herzen.
Die Augen, groß und schwer, tun weh,
dein Blick bereitet Schmerzen.

- Wie soll ich kommen zu dir hin?
Kannst du denn nicht verstehen,
dass ich ja doch unsterblich bin,
und du – du musst vergehen.

- Gewählte Worte such' ich nicht,
wie sollt' ich sie auch finden?
Es ist verständlich, was du sprichst,
doch kann ich's nicht ergründen.

Doch willst du, dass ich wahrhaft dir
von Herzen zugetan,
Komm auf die Erd' herab zu mir,
werd' sterblich von nun an.
- Du forderst die Unsterblichkeit
für einen Kuss, nicht mehr?
Doch solltest du auch wissen heut'
wie ich dich lieb' so sehr.

Ja, ich will, wie ihr, sterblich sein,
mit anderen Gesetzen.
Die Ewigkeit sei nicht mehr mein;
mein Wunsch: mich freizusetzen.

Er ging dahin, und er geht fort,
dem schönen Kind zulieb',
Und er verließ den Himmelsort,
tagelang fern er blieb.
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Zur gleichen Zeit schleicht Catalin,
ein Hausbursch, schlau und frisch,
und Weinschenk, meisterhaft darin
Gläser zu füll'n bei Tisch,

ein Page, der bei Hofe noch
der Kaiserin Schleppe hält,
ein Bankert und ein Nichtsnutz, doch
mit frechem Blick zur Welt,

mit Wangen, die so frisch und rot
wie Rosenknospen schön,
so schleicht er sich nun ohne Not
Catalina zu seh'n.

So schön wie eine Königin,
und stolz dazu, verflucht!
Nun ist es Zeit für Catalin,
dass er sein Glück versucht.

In einem Winkel er umfasst
sie im Vorbeigehn schnell.
-Was willst du, Catalin, du machst
dich fort, und auf der Stell'!
- Ich will doch nur, dass du nicht bist
stets gedankenverloren
und lieber lachst und mich küsst!
Einmal nur! Hab's geschworen!

- Lass' mich in Ruh', bleib' von mir fern!
Gar unverständlich ist dein Wort.
Allein nur nach dem Abendstern
Sehn' ich mich immerfort!

- Wenn du nicht weißt, was ich verlang',
will ich die Lieb' dich lehren.
Dir aber sei es doch nicht bang,
musst dich auch gar nicht wehren.

So wie die Jäger in den Hainen
zum Jagen Netze bringen:
Wenn dich mein Arm umfasst, so deinen
sollst du dann um mich schlingen.

Und deine Augen unverwandt
in meine Augen sehen.
Heb' ich dich in den Achseln, dann
stell' du dich auf die Zehen.

Wenn mein Gesicht sich zu dir neigt,
schau dann empor zu mir!
So blicken unersättlich beid'
und süß für immer wir.

Und dann, damit du überhaupt
was Liebe ist, sollst wissen,
neig' ich zum Kuss herab mein Haupt,
sollst du mich wiederküssen.

Was er ihr sagt, hört sie sich an
überrascht und verwirrt,
und niedlich und verschämt sodann
mal mitmacht, mal sich ziert.
Und sagt ganz leis: Seit Kinderzeit
kenne ich dich beim Namen.
Ein Nichtsnutz, Plappermaul – soweit
passen wir gut zusammen!

Jedoch ein Stern, der oben wohnt
in des Vergessens Weit'
schenkt unendlichen Horizont
der Meere Einsamkeit.

Und heimlich senke ich die Lider
die mir gefüllt mit Tränen,
wenn Meereswellen gleiten wieder
zu ihm mit meinem Sehnen.

Mit unsagbarer Liebe glänzt
er, lindernd meine Pein,
steigt dann in Höhen unbegrenzt
und lässt mich hier allein.

Mit kalten Strahlen leuchtet er
aus Welten, die uns trennen.
Bleibt ewig meiner Seele Herr,
um ewig fern zu brennen.

Und darum sind die Tage mir
wie Steppen wüst und leer.
Doch ist der Nächte Zauber hier,
ach, so bedeutungsschwer.

- Du bist ein Kind, das ist es nur,
lass' in die Welt uns rennen,
lass' uns verschwinden ohne Spur,
wo sie uns nicht mehr kennen.

Denn beide werden klug wir sein
und fröhlich, voll von Plänen.
Vergehen wird das Heimweh dein
und auch dein Sternensehnen.
Auf flog der Abendstern; es stiegen
himmelwärts seine Schwingen.
Und Tausende von Jahren fliegen
sekundengleich von hinnen.

Ein Sternenhimmel unter ihm,
über ihm Sternenhimmel.
Ein steter Blitz, so wie es schien,
irrt' er in dem Gewimmel.

Und aus des Chaos' Tälern sah
er's rings um ihn entspringen.
Wie es am Ursprungstag geschah,
die Lichter ihn umringen.

Wie sie entspringend ihn umranken
wie Meere, die man überwindet.
Er fliegt, Sehnsucht in den Gedanken,
bis alles, alles schwindet.

Und dort ist alles grenzenlos.
Kein Auge, es zu sehen.
Die Zeit versucht vergebens bloß
aus dem Nichts zu erstehen.

Es ist ein Nichts, und ist ein Loch,
ein Durst, der saugt ihn ein,
und eine Tiefe, und gleicht doch
blindem Vergessensein.

- Aus dunkler Last der Ewigkeit
entbind' mich, Vater mein!
Dann sollst gelobt für alle Zeit
im ganzen Weltall sein!

O, ford're jeden Preis von mir,
doch ändere mein Leben!
Denn Sterben kommt allein von dir;
nur du kannst Leben geben!
Nimm die Unsterblichkeit von mir,
das Feuer meines Blickes,
und danach schenke mir dafür
die Stunde Liebesglückes.

Denn aus dem Chaos kam ich her,
dorthin will ich zurück.
Kam aus der Still', und sehn mich sehr
nach dieser Stille Glück.

- Hyperion, der vom Ursprung kommt,
mit einer ganzen Welt,
fordere nicht, was dir nicht frommt,
namenlos, ungezählt.

Du strebst, als Mensch dich anzuseh'n?
Willst werden so wie er?
Doch wenn die Menschen all' vergeh'n,
so kommen neue her.

Sie können doch nur in den Wind
die Ideale stellen.
Wenn Wellen auch begraben sind,
erstehen neue Wellen.

Sie jagen nach dem Glücksstern dort
und fürchten ihr Verderben.
Wir haben weder Zeit, noch Ort
und können auch nicht sterben.

Aus Ewiggestrigem doch nur
die Sterblichen all' leben.
Stirbt eine Sonne ohne Spur,
wird’s eine neue geben.

Auch wenn sie sich unsterblich seh'n,
Kriegt sie der Tod auf Erden.
Denn alles WIRD, um einst zu GEH'N
und GEHT, um einst zu WERDEN.
Hyperion, du bleibst dafür
wo du auch bist, am Leben.
Verlang' das erste Wort von mir:
Soll ich dir Weisheit geben?

Soll ich dem Mund die Stimme leih'n,
nach dessen Lied sich wälzen
Berge und Wälder im Verein,
Inseln und Meer verschmelzen?

Willst durch die Tat du zeigen hier
Gerechtigkeit und Stärke?
Ich geb' die ganze Erde dir
als Raum für deine Werke.

Ich geb' dir Schiffe ohne Zahl
und Heere, die da queren
die Erde und die Meere all,
doch Tod muss ich verwehren.

Und wofür willst du sterblich werden?
Kehr' um und flieg' zurück,
hinunter auf die ferne Erde
richte du deinen Blick.

Zurück an seinen Sehnsuchtsort
Hyperion kehrt heut',
und so wie gestern immerfort
sein helles Licht er streut.

Denn es ist Abenddämmerlicht,
die Nacht will sich erheben,
es lässt der Mond sein Angesicht
still in dem Wasser beben.

Und füllt mit seinem Lichterschein
die Pfade in dem Haine.
Und unter stolzer Linden Reih'n
zwei Kinder sind alleine.
- O, lass' mein Haupt doch auf der Brust
Geliebte, dir nun ruh'n.
Das heit're Aug' zu mir mit Lust
gewandt, voll Süße nun.

Des kühlen Lichtes Zauberkraft
durchdringe all mein Denken.
Sollst über meine Leidenschaft
die ew'ge Stille senken.

Und beug' dich über mich und heil'
die Wunde meiner Triebe!
Dir ward mein letzter Traum zuteil
und meine erste Liebe.

Hyperion sah von oben droh'n
ihr plötzliches Erbarmen.
Ein Arm umfasste sie, und schon
hielt sie ihn in den Armen.

Silberne Blumen wunderbar,
als süßer Regen fallen
sie auf der Kinder blonde Haar',
die um die Schultern wallen.

Betäubt von Liebe lenkt die Braut
nach oben ihren Blick
und sieht den Stern: Und ihm vertraut
sie an nun ihr Geschick:

- O, steig' hernieder, holder Stern,
auf eines Strahles Schimmer,
komm' in den Wald und in mein Herz,
Erleucht' mein Glück für immer!

Er zittert' wie in alter Zeit
auf Hügel und in Wälder
begleitete die Einsamkeit
bewegter Wellenfelder.
Doch sinkt er nicht, wie ehedem,
aus höchster Höh' als Wand'rer.
- Was schert es dich, Gebild' aus Lehm,
bin ich's oder ein andrer!

In eurem engen Lebenskreise
seid ihr vom Glück umwallt.
Ich aber bleib' auf meine Weise
unsterblich, aber kalt.